Viele Menschen auf der onkologischen Pflegestation befinden sich an einem Tiefpunkt in ihrem Leben. Sie leiden an fortgeschrittenem oder aggressivem Krebs, der stationär mit einer CAR-T-Zelltherapie oder eine Hochdosis Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation behandelt werden muss. Die Pflegenden verabreichen dabei einerseits die Therapie und betreuen andererseits die Nebenwirkungen.
Der Behandlungsweg ist anspruchsvoll: Die hochdosierte Chemotherapie kann nur verabreicht werden, wenn die Patient:innen anschliessend ihre eigenen Blutstammzellen zurückerhalten. Diese werden vorab eigens in einer Apharese gesammelt. Die hochspezialisierte Behandlung ermöglicht den Patient:innen das Überleben, bedeutet aber auch eine sehr grosse Belastung für den Körper. Aufgrund der starken Nebenwirkungen wie Durchfall, Erbrechen, Schmerzen und Fatigue, würden die Pflegenden auf der Station oft eine grosse Enthemmung erleben, beschreibt Irene Hügli, die Teamleiterin der Station Q: «Praktisch nichts, worauf unsere Patient:innen in ihrem Leben bisher Wert gelegt haben, ist hier noch von Bedeutung.»
Die Pflegefachpersonen auf der onkologischen Bettenstation sehen sich als «Verbündete im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind, den Krebs», beschreibt Irene Hügli. Sie und ihr Team notieren jeden Tag die Blutwerte ihrer Patient:innen und besprechen diese mit ihnen, um jeden noch so kleinen Fortschritt zu dokumentieren. Sie zählen gemeinsam mit den Patient:innen den Countdown zur letzten Chemo zurück und zelebrieren den Abschluss eines Therapiezyklus. Auf der anderen Seite bringen sie ihre Betroffenheit zum Ausdruck, gerade wenn es darum geht, Abschied nehmen zu müssen.
Enge Bindung und individuelle Pflege
Viele Patient:innen werden mehrmals und für längere Zeit stationär behandelt. Durch die Therapiezyklen entsteht eine enge Bindung, die es ermöglicht, sich besser auf die Menschen einzustellen und auf ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen. Bei denjenigen, die Angst vor der Chemotherapie haben, verstecken die Pflegenden schon mal den Infusionsbeutel in einem Kissenanzug oder drehen die Etiketten mit den Warnhinweisen weg. Sie versuchen auch, im Alltag neben dem streng strukturierten Chemo-Therapieplan freie Zeit einzuplanen und lassen die Patient:innen mitbestimmen. Sofern es die Pflegeroutine erlaubt, wird auch mal ein Schild mit der Aufschrift «bitte nicht stören» an die Türe eines Patienten geklebt, der einfach mal ein paar Stunden lang seine Ruhe haben möchte.
Auch wenn an manchen Tagen wenig Zeit bleibe, um tiefgreifende Gespräche zu führen, weil man sich bei der Verabreichung der Chemotherapie und der Handhabung der venösen Zugänge konzentrieren, vieles erklären und Nebenwirkungen überwachen muss, geben sich die Pflegenden immer Mühe, zuzuhören. «Das reicht oft schon. Eine gewisse Feinfühligkeit wird in unserem Beruf vorausgesetzt. Auf der Onkologie haben wir gelernt, die Bedürfnisse unserer Patient:innen noch gezielter wahrzunehmen, ohne dass sie etwas konkret aussprechen müssen», fasst die Pflegeexpertin Céline Rossier die zwischenmenschlichen Fähigkeiten zusammen. Den Patient:innen menschlich so nahe zu kommen, sei schön, aber nicht immer einfach, merkt sie noch an: «Wir erfahren auch viel aus dem persönlichen Leben unserer Patient:innen, sehen Familienfotos oder Zeichnungen der Enkel am Whiteboard oder hören, wie eine Mutter telefonisch den Alltag zuhause zu organisieren versucht. Das macht es manchmal schwierig, Distanz zu wahren.»
Die Beratung und Aufklärung in Bezug auf Symptome und Nebenwirkungen wird ebenfalls individuell angepasst. Die Patient:innen bestimmen, was sie wissen wollen und was nicht. Da gebe es auch manche Momente, in denen man sich machtlos fühlt, beschreibt Irene Hügli: «Es ist schwierig auszuhalten, wenn sich jemand – meist sind es Menschen, die ihre Diagnose erst kürzlich erhalten und ihre Krankheit noch nicht voll akzeptiert haben – gar nicht für die Therapie und die Nebenwirkungen interessiert. Ich weiss, was auf diese Menschen zukommen wird und möchte sie möglichst eng begleiten können.» Aber man habe eben auch die Chance, das Krankheitserlebnis gemeinsam zu definieren, indem man mit den Patienten:innen bespricht, wogegen eine Therapie gemacht wird.
Zur Klärung von existenziellen Fragen rund um die persönlichen Werte, Bedürfnisse und Ängste können sich die Patient:innen auch an den palliativen Konsiliardienst, die Psycho-Onkologie oder die Sozialberatung wenden. Auch die Seelsorge sei für die stationäre Onkologie mit ihrem 24-Stunden-Pikettdienst eine wichtige Stütze. Sie entlastet die Pflege in Krisensituationen und begleitet Familien beim Abschiednehmen.
Anwält:innen für die Patient:innen
Mache Patient:innen sind nicht bereit, die kräftezehrende Therapien fortzuführen. In diesem Fall verstehen sich die Pflegenden als Anwälte der Patient:innen und versuchen, diese in ihrem Willen zu unterstützen. Die bestätigende Haltung würde glücklicherweise von allen im Pflegeteam, inklusive der Leitung, mitgetragen, bemerkt Irene Hügli: «Während viele Onkologen primär die Chancen der Therapie im Fokus haben, sehen wir Pflegenden auch, dass die Patient:innen einen hohen Preis für die Behandlung zahlen.» Selbst bei möglicher guter Prognose sei die Fortführung einer Therapie mit allen Nebenwirkungen nicht in jedem Fall der einzig richtige Weg. «Es macht uns Pflegende aus, dass wir solche Spannungsfelder erkennen und ansprechen», fasst sie zusammen.
Auch im Austrittsmanagement setzt sich die Pflege auf der onkologischen Bettenstation mit Nachdruck für die Bedürfnisse der Patient:innen ein: Es sei wenig achtsam, Patient:innen mit begrenzter Lebenszeit länger als unbedingt nötig im Spital zu behalten, auch wenn ein Austritt manchmal aufwändig sei, sind sich die Pflegefachfrauen einig.
Umgang mit schwierigen Situationen
Für das Team sind Fallbesprechungen, bei denen es für einmal nicht um therapeutische Fragestellung gehe, ein wichtiges Gefäss, um solchen Spannungsfeldern zu begegnen und den Bedürfnissen ihrer Patient:innen Ausdruck zu verleihen. Hilfreich im Umgang mit belastenden Situationen sei auch der enge Zusammenhalt im Team. «Bei uns auf der Station pflegen wir über alle Stufen – von den Diplomierten über die Pflegeassistent:innen bis zu den Praktikant:innen – einen freundschaftlichen Umgang. Ich glaube jeder weiss, dass er jemanden zum Reden hat», sagt Celine Rossier.
Den Tod eines Patienten verarbeitet das Team mit festen Ritualen und Gesprächen: eine Kerze wird angezündet, der Name des Verstorbenen wird an eine Ahnentafel geschrieben und in einem Buch können Anekdoten festgehalten werden. Wer will, kann einen Gottesdienst besuchen. Weiter erzählt Celine Rossier: «Wir haben auf der Station immer wieder viele junge Patienten:innen. Männer und Frauen im jungen Alter oder Menschen, die unsere Kinder, Schwester, Bruder oder Eltern sein könnten. In solchen Momenten ist das einzige was hilft, wenn man über seine Betroffenheit spricht». Irene Hügli bekräftigt: «Es gibt kein falsches Betroffen Sein. Auch das ist individuell und soll nicht beurteilt werden.»
Aktuell arbeitet das Team daran, Gefässe zu schaffen, in denen auch positive Verläufe mit Ritualen gefeiert werden können – ein PET-CT ohne Befund oder ein Therapieabschluss.