Kinder mit Krebs sind wahre Held:innen!

Dr. med. et Dr. sc. nat. Uli Herrmann hat an der Kinderklinik des Inselspitals 2024 seine Fellowship* in pädiatrischer Onkologie-Hämatologie abgeschlossen. Aktuell arbeitet er klinisch in der Abteilung für pädiatrische Hämatologie und Onkologie und baut seine eigene Arbeitsgruppe zur Erforschung der Tumormikroumgebung auf. Was motiviert ihn, junge Patient:innen mit Krebs zu behandeln und Krebsforschung zu betreiben? Ein Interview über Menschlichkeit und Hoffnung.

Uli Hermann, wieso haben Sie sich für die pädiatrische Hämatologie und Onkologie entschieden?

Im Rahmen meiner Weiterbildung zum Kinderarzt hat eine Rotation in die Abteilung für Stammzelltransplantation und Onkologie in mir das Feuer für die pädiatrische Onkologie entfacht. Es ist ein medizinisch äusserst spannendes und dynamisches Fachgebiet, in dem durch die Entwicklung neuer Therapien in der Grundlagenforschung und internationaler Studien das Überleben der Patient:innen stetig verbessert werden kann. 

Zudem begleiten wir die Patient:innen und ihre Familien über einen langen Zeitraum. Während den intensiveren Therapiephasen lernen wir sie gut kennen – ihre Hobbys, Interessen, Idole und individuellen Bedürfnisse. In dieser Zeit tun wir unser Bestes, um die Krebstherapie so erträglich wie möglich zu gestalten. Wie bei einem Marathonlauf oder der Tour de France gibt es sowohl bessere als auch schwierigere Momente, gute und anstrengende Tage, Stimmungsschwankungen und Müdigkeit. Wichtig ist es, trotz den Widrigkeiten nach vorne zu schauen. Wir freuen uns über jeden noch so kleinen Fortschritt – sei es ein Lachen oder eine Fahrt auf dem Traktor durch die Abteilung.

Nach Abschluss der Therapie sehen wir die Patient:innen anfänglich im Rahmen der Nachsorgeuntersuchung noch häufiger. Mit der Zeit können die Kontrollintervalle dann schrittweise verlängert werden, bis wir die Patient:innen nur noch einmal pro Jahr in der Kontrolle sehen. Es ist immer eine Freude, die Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien wiederzutreffen, zu sehen wie sie heranwachsen und welche Fortschritte sie nach der Therapie gemacht haben Eine Krebsbehandlung ist eine mentale und körperliche Höchstleistung und ich habe grössten Respekt vor den Patient:innen und ihren Familien. Bei vielen Kinder, die Krebs überlebt haben – im Englischen nennt man sie ChildhoodCancer Survivors – würde man niemals erahnen, welche enorme Hürden sie während ihrer Krebstherapie überwunden haben, wenn man ihnen als Jugendliche oder später als Erwachsenen begegnet.

Welchen Stellenwert hat Teamwork für Sie in der Betreuung Ihrer Patient:Innen?

Wie bei allen Leistungen auf höchstem Niveau ist auch für eine erfolgreiche Krebstherapie ein starkes Team im Hintergrund unerlässlich. Die betroffenen Patient:innen, ihre Eltern, Geschwister, Grosseltern, die erweiterte Familie und enge Freund:innen sind alle betroffen und können sich in dieser Zeit gegenseitig unterstützen. Wichtig ist, dass sich die Familienmitglieder in dieser Phase, soweit möglich, durch abwechselnde Betreuung Erholungszeit für sich selbst einplanen.

Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Fachkräften aus verschiedenen Berufsgruppen – darunter Ärzt:innen aus verschiedenen Fachgebieten, die Pflege, Psychologie, Palliativmedizin, Physiotherapie, Lehrpersonen, Musiktherapie, Ergotherapie, Logopädie, Sporttherapie und viele mehr – ist essentiell und zugleich sehr bereichernd. Auch Berufsgruppen, die im Hintergrund wirken, wie die Pharmazie, der Reinigungsdienst, technischer Dienst und das Küchenpersonal leisten einen essentiellen Beitrag.

Inwiefern spielt für Sie die onkologische Forschung in der Behandlung ihrer Patient:innen eine Rolle?

Glücklicherweise können heute mehr als 85 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Krebs geheilt werden. Leider gibt es weiterhin Fälle, in denen wir mit unseren medizinischen Möglichkeiten an die Grenzen stossen und nicht die erhoffte Heilung erreichen können. Dies ist immer sehr traurig, spornt uns aber an, alles daran zu setzen, um neue Therapien weiter voranzutreiben. 

Wichtig ist nicht nur das Überleben an sich, sondern auch die Lebensqualität nach Beendigung der Therapie. Im Schweizer Kinderkrebsregister werden alle Neuerkrankungen und Daten zum gesamten Krankheits- und Behandlungsverlauf systematisch erfasst. So können nicht nur der Erfolg der Behandlungen, sondern auch die Langzeitfolgen erforscht werden. 

Die Patientenzahlen in der pädiatrischen Onkologie sind mit jährlich weniger als 300 Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter in der gesamten Schweiz im Vergleich zu den Erwachsenen sehr tief. Ein einzelnes Prostatakrebszentrum kann zum Beispiel pro Jahr mehr als tausend Patienten betreuen. Wegen dieser Seltenheit wurden bereits sehr früh nationale und internationale Studiengruppen gegründet. Die nationale und internationale Zusammenarbeit in der Forschung ist für eine kontinuierliche Verbesserung der Therapie unerlässlich. Die grosse Mehrheit der Kinder Jugendlichen ist in internationalen Studien eingeschlossen oder wird nach internationalen Therapieempfehlungen behandelt.

Das Ziel dieser Forschung ist es, die Therapien zu verbessern, um einerseits das Überleben nach Krebs weiter zu erhöhen und gleichzeitig nur so viel Therapie wie nötig anzuwenden, um die Langzeitfolgen zu reduzieren. Es ist natürlich für die Familien, die gerade mit einer lebensbedrohlichen Diagnose konfrontiert wurden nicht einfach, sich mit dem Thema Therapiestudie auseinanderzusetzen. Meine Kolleg:Innen und ich nehmen uns daher immer viel Zeit, um die Ziele der Therapie und der Studien zu erklären und zu vermitteln, dass wir keine unnötigen Risiken eingehen. Es ist uns ausgesprochen wichtig, das Vertrauen der Familien in die angebotene, bestmögliche Therapie zu stärken. Neben der klinischen Forschung kommt auch der Grundlagenforschung entscheidende Bedeutung zu.

Was wird am Inselspital neben der klinischen Forschung für die Krebsbehandlung von Kindern und Jugendlichen gemacht?

Die Grundlagenforschung ermöglicht ein besseres Verständnis der Entstehung von Krebserkrankungen und die Entwicklung zielgerichteter sowie verbesserter Therapien. Hier ist jedoch viel Geduld erforderlich. Bis im Labor Erfolge erzielt werden, müssen Experimente oft wiederholt und bestätigt werden. Nicht selten gilt es, aus Sackgassen neue Wege einzuschlagen. Es dauert Jahre, oft Jahrzehnte, bis Entwicklungen aus der Grundlagenforschung in der klinischen Behandlung angewendet werden können.

Persönlich interessiere ich mich für die Tumor-Mikroumgebung und baue gerade eine eigene Arbeitsgruppe auf, die diese erforscht. Unser Ziel ist es, das Zusammenspiel zwischen Immunsystem, Körper und Tumor besser zu verstehen. Wenn wir dieses Zusammenspiel besser verstehen, können wir Rückschlüsse auf die optimale Behandlungsstrategie ziehen. Aktuell erforschen wir dies beim Nephroblastom oder Wilms Tumor, einem der häufigsten Tumoren im Kindesalter. 

Der Finanzdruck im Gesundheitswesen macht auch der Kinder- und Jugendmedizin und Ihrer Forschung stark zu schaffen. Ich bin sehr dankbar, dass wir von Stiftungen wie der Berner Stiftung für krebskranke Kinder und Jugendliche, der Stiftung KinderInsel, der Krebsliga Bern und Schweizerische Pädiatrische Onkologie Gruppe unterstützt werden. Wenn nicht die Investition in die Zukunft der Kinder, welche Investition lohnt sich dann?

Insgesamt ist die pädiatrische Onkologie aus meiner Sicht das spannendste und erfüllendste Fachgebiet! Der Kinderkrebstag ist eine gute Gelegenheit, an alle Kinder und Jugendliche und an ihre Familien zu denken, die von Kinderkrebs betroffen sind – für mich sind sie wahre Heldinnen und Helden!

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*Fellowship: vertiefende Weiterbildung zum Erwerb einer zweiten Facharztausbildung in einem Spezialgebiet

Dr. med. et Dr. sc. nat. Uli Herrmann in der Abteilung für pädiatrische Hämatologie und Onkologie und baut seine eigene Arbeitsgruppe zur Erforschung der Tumormikroumgebung auf.