Herr Bernhard, Sie sind seit Mitte der 80-er Jahre als Psychoonkologe tätig. Was hat sich seither verändert?
Heute ist die Psychologie nicht mehr von der Onkologie abgespalten, sondern ein integrierter Teil der Behandlung von Krebspatientinnen und -patienten. In den 80er-Jahren war das noch anders, da galt ich als Exot. Als Psychologe wurde mir nahegelegt, in der Medizin zu publizieren und nicht in der Psychologie, wenn ich klinische Konsequenzen erwirken wolle, was ich dann getan habe.
Was hat dazu geführt, dass die Psychologie heute ein Bereich der Onkologie ist?
Seit Beginn hat es immer wieder engagierte Onkologinnen und Onkologen gegeben, die erkannt haben, dass es in der Behandlung der Patientinnen und Patienten Phänomene gibt, die einen psychologischen Zugang erfordern. Damit sind für die Betreuung von Betroffenen Türen geöffnet worden.
Dies betrifft auch die klinische Forschung. Das Anliegen, den Patientinnen und Patienten bei der Evaluation onkologischer Therapien eine Stimme zu geben, wurde von Onkologinnen und Onkologen geäussert. Die Methodik dazu wurde von Psychologinnen und Psychologen entwickelt – die Lebensqualitätsforschung war geboren. Die Einsicht, dass wir in vielen Bereichen zusammen mehr erreichen, hat sich durchgesetzt. Heute ist Psychoonkologie ein Kriterium für eine Zertifizierung eines onkologischen Zentrums.
Sie messen der Psychologie eine hohe Bedeutung in der Krebsbehandlung bei. Können Sie dieser Erwartung gerecht werden?
Nein, nicht immer. Weder benötigen noch wollen alle Betroffene ein psychoonkologisches Angebot. Wichtig ist, dass alle beteiligten Behandler ein Verständnis für die Situation des betroffenen Menschen und seiner engsten Angehörigen gewinnen. Das betrifft grundlegende mentale Prozesse im Umgang mit der Krankheit, die man fördern, jedoch nicht forcieren kann. Wir pflegen dazu den Austausch zwischen allen involvierten Berufsgruppen und fördern das gegenseitige Verständnis.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Eine Krebsdiagnose trifft den Menschen in seinem Innersten. Betroffene können ihre Ängste meist nur schwer einordnen – auch sehr konkrete Ängste sind immer mit einer existentiellen Erfahrung verbunden, was zu einer Verstärkung von Symptomen führt (zum Beispiel Schlafstörungen). Werden solche Ängste aus einer rein somatischen oder rein psychopathologischen Sicht angegangen, wird der Mensch in seinem Erleben verfehlt. In solchen Situationen haben die Psychoonkologinnen und Psychoonkologen eine zentrale Funktion.
Denken Sie, dass die Psychoonkologie dank den neuen therapeutischen Möglichkeiten der Onkologie, die in den letzten Jahren entstanden sind, an Bedeutung verlieren wird?
Es ist eher das Gegenteil der Fall. Eine wirkungsvollere Therapie oder eine weitere Therapielinie erleichtert nicht zwingend den Umgang mit der Krankheit, abgesehen von den oftmals belastenden mittel- und langfristigen Nebenwirkungen. Die Entscheidungsfindung wird nicht einfacher, manchmal mag zum Beispiel eine Patientin oder ein Patient keine Therapie mehr, fühlt sich jedoch der Familie verpflichtet. Auch bei den geheilten Patientinnen und Patienten gewinnen psychoonkologische Fragestellungen, wie der Umgang mit krebsassoziierter Fatigue, zunehmend an Bedeutung.
Was erwarten Sie von der zukünftigen Entwicklung der Psychoonkologie? Wo geht die Reise hin?
Es wird mehr fachspezifische Angebote für Betroffene und Angehörige geben. Ich wünsche mir eine bessere Integration der klinischen Psychologie in die Biomedizin und bin überzeugt, dass psychologische Erkenntnisse in der Betreuung von Krebskranken zunehmend auch anderen schwer kranken Menschen zugutekommen werden.
Zu Ihrer Verabschiedung findet Ende März ein Symposium statt. An wen richtet sich diese Veranstaltung?
An alle an der Onkologie Interessierten. Hier geht es zum Programmflyer.