Wenn Kinder und Jugendliche an Krebs erkranken, kommt ihr natürlicher Bewegungsdrang manchmal vollständig zum Erliegen. Gezeichnet durch die Krankheit, vor allem aber verursacht durch die Nebenwirkungen der intensiven Therapie, verbringen sie die meiste Zeit liegend im Bett. Dabei ist Bewegung nicht nur Ausdruck von Lebensfreude, sie ist auch wichtig für die ganzheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Wenn die Bettzeit zu hoch ist, bauen Kinder und Jugendliche schnell ab. Die Funktionseinschränkungen können so hoch sein, dass eine Physiotherapie verordnet werden muss.
Aktiv und selbstbestimmt
Damit es nicht soweit kommt, wurde in der Berner Kinderklinik im März 2023 das Programm KiKli-Fit initiiert. Das Sport- und Bewegungsangebot richtet sich nach den Interessen und dem Wohlbefinden der jungen Patientinnen und Patienten. Mehrmals pro Woche besucht Sportwissenschaftlerin Lisa Hillebrecht die Kinder und Jugendlichen auf der Station oder in den ambulanten Behandlungsräumen. Sie schaut, wie es ihnen geht und worauf sie heute Lust haben. «Manchmal lässt es der Gesundheitszustand nicht zu oder die Motivation ist zu gering, sich zu bewegen Dann reden wir nur – zum Beispiel darüber, wie sie ihren Körper in einem Jahr sehen und welche Bewegungen oder welche Sportart sie nach der Therapie gerne wieder ausführen möchten. Auch eine Phantasiereise oder eine progressive Muskelentspannung kann wertvolle Impulse setzen. Jedes kleine Bisschen Bewegung ist wertvoll, und manchmal motivieren unsere Impulse die Kinder dann doch, kurz aufzustehen und sich etwas zu bewegen.»
Ziel des Programms ist, dass sich die Kinder und Jugendlichen aktiv und selbstbestimmt erleben und ein neues Selbstvertrauen zu sich und ihrem Körper entwickeln. KiKli-Fit soll ein Stück normalen Alltag wiederherstellen. Auch darum sind Geschwister, Freundinnen und Freunde eingeladen, mitzumachen. Nebst sporadischen Ausflügen in die Turnhalle oder das Schwimmbad, sind «Bewegungshighlights» an Samstagen für die Familien geplant.
Nach Amputation am Grand Prix von Bern
Das Angebot, am diesjährigen Grand Prix von Bern 2024 mitzulaufen, richtete sich laut Lisa Hillebrecht ursprünglich an Kinder und Jugendliche in der Nachsorge. Diese haben die Intensivtherapie bereits hinter sich und sind daher weniger infektionsanfällig, so ihre Begründung. Aber die Kinder und Jugendlichen, die nur noch sporadisch in die Nachsorge kommen, wollen laut Lisa abgesehen davon erst mal weniger mit dem Spital zu tun haben. Anders Ella1, deren Intensivtherapie wegen Knochenkrebs zum Zeitpunkt des GP noch nicht ganz abgeschlossen war. Nach einer Umkehrplastik2 musste Ella vor dem Lauf ihren vorletzten Chemotherapie-Block durchlaufen. Vor ihrer Diagnose war Ella bereits dreimal am GP mitgelaufen, ihr Wille, wieder mitzumachen war gross. «Ob mit Gehhilfen oder im Rollstuhl, sie wollte unbedingt mit dabei sein», blickt Lisa Hillebrecht auf den Beginn der Mission zurück. Ella entwarf sogar ein Logo für die Laufshirts und steckte eine weitere Patientin mit ihrer Euphorie an. Am 18. Mai gingen 24 Mitarbeitende der Kinderklinik aus allen möglichen Berufsgruppen mit den zwei tapferen Krebspatientinnen an den Start. Nicht nur die Sportwissenschaftlerin war von dem Moment berührt: «Als unsere Patientinnen kurz vor dem Ziel mit Gehhilfen oder aus dem Rollstuhl aufstehend und gestützt von ihren Familien und Freunden ihre ersten Schritte über die Ziellinie gingen, waren alle den Tränen nahe.»
Neben all den wissenschaftlichen Studien ein weiterer Beweis dafür, dass regelmässige körperliche Bewegung nicht nur die Nebenwirkungen der Krebstherapie vermindern kann, sondern dass auch die Psyche davon profitiert, wenn der Körper bewegt wird.
KiKli-Fit am Race for Life
Lisa Hillebrecht wird an der Race for Life Benefiz-Velotour vom 15. September auf dem Bundesplatz das KiKli-Fit Programm vorstellen und an praktischen Beispielen zeigen, wie Sport während und nach einer Krebserkrankung zum körperlichen und psychischen Wohlbefinden beitragen kann. Besuchen Sie den Stand des UCI - Das Tumorzentrum Bern auf dem Berner Bundesplatz.
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1 Name geändert
2 Umkehrplastik: eine Sonderform der autogenen Transplantation, bei der ein Körperteil entfernt und an anderer Stelle wiedereingesetzt wird. In Ellas Fall wurde ihr Unterschenkel inklusive Knie entfernt, während ihr Fussgelenk verkehrt herum am verbleibenden Oberschenkel fixiert wurde. Dadurch konnte das Sprunggelenk des Fusses die Funktion des Kniegelenkes übernehmen, so dass die Versorgung mit der Prothese sich leichter gestaltet.