4. Februar 2024

Der Blick ins Erbgut

Habe ich eine Krankheit vererbt bekommen? Oder habe ich meine Krankheit an eines meiner Kinder vererbt? Dies zu beantworten hilft Humangenetikerin Christiane Zweier. Denn manchmal liegt das Risiko bereits in den Genen.

Alles liegt im Bauplan. Der Bauplan des Lebens liegt in den Genen. Diese erben wir von den Eltern. Manche Erkrankungen entstehen, weil sich in den Genen eines Menschen Fehler eingeschlichen haben. Das gilt auch für Krebs. Etwa 5 bis 10 Prozent aller Krebserkrankungen haben eine Ursache in fehlerhaften Genen.

Auch Krebs

Christiane Zweier leitet die Universitätsklinik für Humangenetik am Inselspital Bern. «Wir suchen nach genetischen Ursachen für verschiedenste Erkrankungen bei Patientinnen und Patienten», sagt sie. Das geht von vorgeburtlichen Untersuchungen über Untersuchungen bei Kindern bis hin zu Erwachsenen. Ihre Klinik und das angegliederte Labor analysieren eine breite Palette von Erkrankungen, zum Beispiel Wachstums- oder Entwicklungsstörungen, Herz-, Nieren-, Lungen oder Muskelerkrankungen.

Auch bei Krebs kann die Ursache ein Fehler im Erbgut sein, zum Beispiel bei Brust- oder Magenkrebs. Wer betroffen ist oder einer betroffenen Familie angehört, lässt sich von der Hausärztin oder vom Hausarzt für eine genetische Sprechstunde anmelden.

In der genetischen Sprechstunde

«Wir stellen gemeinsam die Patientengeschichte zusammen. Wir befragen dazu systematisch den Gesundheitszustand und mögliche Beschwerden und erfragen den Grund für die Vorstellung», sagt Christiane Zweier. Es gehe um die Fragen:

  • Warum ist jemand in die Sprechstunde gekommen?
  • Ist die Person selbst betroffen?
  • Oder ist sie gekommen, weil mehrere Familienmitglieder betroffen sind und sie Sicherheit haben möchte?

In der Sprechstunde stehe die Familiengeschichte mit Stammbaum im Mittelpunkt, sagt sie. Darauf werde über drei Generationen eintragen, wer von einer Erkrankung betroffen ist und wen es noch betreffen könnte, sodass das Risiko besprochen werden kann. Am Ende müsse eine Person jedoch selbst entscheiden: Ich will es wissen, ich will die Ursache für meine Erkrankung oder mein Risiko kennen.

Gentest

Zunächst gibt die betroffene Person eine Blutprobe ab. Diese wird in einem Labor, dem Clinical Genomics Lab, auf die vermuteten Gene analysiert. Das Labor mit seinen rund 50 Mitarbeitenden befindet sich auf dem Campus des Inselspitals.

Das Angebot an Tests ist gross. Nur schon für Krebserkrankungen können 16 verschiedene Gen-Gruppen abgeklärt werden, die je bis zu 100 Gene enthalten können. Je nach Erkrankung oder Fragestellung werden grössere oder kleinere Gengruppen oder Einzelgene getestet.

Das wohl bekannteste Gen im Zusammenhang mit Krebserkrankungen heisst BRCA1, ein Stückchen Erbinformation, das verändert sein kann. Wer es so in sich trägt, hat ein hohes Risiko für Brust- und Eierstockkrebs.

Drei Herzen

Nach ein paar Wochen liegt das Ergebnis vor. «Ich kann zur Familie zurückgehen und ihr die Befunde mitteilen», sagt Christiane Zweier. Hier schliesse sich ein Kreis.

«Der Weg beginnt bei den Patienten, führt dann ins Labor und endet erneut bei den Patienten. Das ist es, was mir an meiner Arbeit schon immer gefallen hat: das Klinische mit dem Wissenschaftlichen zu verbinden, als Ärztin, als Diagnostikerin und als Wissenschaftlerin. In mir schlagen drei Herzen.»

Ursache gefunden

Häufig findet die genetische Laboranalyse die Ursache für eine erblich bedingte Erkrankung. Oder die Empfänglichkeit für eine Erkrankung. Es ist, als ob man bei einem Menschen eine genetische Achillesferse gefunden hätte. Manche Erkrankte atmen regelrecht auf, wenn sie dies erfahren.

Sie haben es nun schwarz auf weiss: Sie sind nicht schuld daran, erkrankt zu sein, sondern es gibt eine genetische Ursache oder sie können schon etwas tun, bevor sie erkranken. Andere wiederum fühlen sich davon belastet, wenn sie von einem genetischen Risiko erfahren.

Für die Betroffenen geht es nun darum, die passende Therapie zu finden. Für die Nicht-Erkrankten bedeutet das Resultat, mit dem Wissen um ein erhöhtes Risiko zu leben und sich allenfalls regelmässigen Untersuchungen zu unterziehen.

Familie informieren

Ob sie ihre Familie aufklären oder nicht, liegt in der Verantwortung der Betroffenen. «Die Schweigepflicht verbietet es uns, auf andere Personen aus dem Umkreis der Erkrankten zuzugehen. Wir empfehlen nur, dies zu tun, und unterstützen sie dabei», sagt Christiane Zweier.

«Mir erzählte einst eine Patientin mit Brustkrebs, sie habe nicht gewusst, dass es in ihrer Familie bereits eine bekannte Mutation gebe. Niemand habe ihr das mitgeteilt», schildert Christiane Zweier. Dabei gelte doch in der Krebsvorsorge: Je früher ein Tumor erkannt ist, desto besser lässt er sich behandeln.

Krebsveranlagung und Vorsorge

Wer ein solches genetisches Risiko in sich trägt, erhält eine umfassendere und gezieltere Vorsorge als andere Menschen. Bei einer Frau mit Risiko für Brustkrebs beispielsweise behält die Hausärztin auch andere Organe im Auge. Würde die Patientin über Magenprobleme berichten, erhielte sie eher eine Magenspiegelung als bei anderen Menschen empfohlen ist.

Die Humangenetik hat sich verändert. Christiane Zweier sagt es so: «Vor 20 Jahren kannten wir nur wenige genetische Ursachen für Erkrankungen.» Auch die Öffentlichkeit wisse viel besser Bescheid über erblich bedingte Krankheiten. Dass eben nicht alles Zufall sei, sondern manchmal im Bauplan liege.

Zur Person

Prof. Dr. Dr. med. Christiane Zweier ist seit September 2020 Klinikdirektorin und Chefärztin der Universitätsklinik für Humangenetik am Inselspital Bern. Sie wohnt seit drei Jahren in Bern und geniesst die Nähe zu den Bergen. «In der Freizeit bin ich meist draussen, in Bewegung, beim Wandern oder Rad fahren.»

(Text: Peter Rüegg)

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University Cancer Center Inselspital (UCI)

UCI – Das Tumorzentrum Bern ist ein führendes Schweizer Zentrum für die Diagnose und Behandlung von Krebs. Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung finden am Tumorzentrum Bern ein breites Angebot von individuell zugeschnittenen Therapieansätzen. In zwölf Organzentren werden sie von hochspezialisierten Teams betreut.www.tumorzentrum.insel.ch