24. Juni 2024

Von Stammzellen und Immunmodulatoren

Die Krebsforscherin Sabine Höpner arbeitet mit Leukämie-Stammzellen. Diese trotzen dem menschlichen Abwehrsystem und den gängigen Therapien. Die Forschungsgruppe, in der sie arbeitet, sucht nach Wegen, das Abwehrsystem zu aktivieren, um diese Stammzellen anzugreifen oder die Krebsstammzellen direkt zu eliminieren. Die Tumorimmunologin erzählt, was am Anfang ihrer Laufbahn stand und was sie heute antreibt.

Frühsommer 2024, es schüttet in Strömen.
Sabine Höpner wartet im Tagungsraum im obersten Geschoss eines alten Verwaltungsgebäudes. Es ist die Adresse des Departements für Biomedizinische Forschung der Universität Bern.
Während es aufs Dach prasselt, erzählt sie von ihrem spannenden Beruf. Sie ist Krebsforscherin. Seit mehr als 20 Jahren.

Was entscheidend war

Den Entscheid fasste sie früh. Sie war noch eine Biologiestudentin an der Freien Universität Berlin, als ihre Grossmutter, die ihr nahestand, an einem Darmkrebs erkrankte – und bald darauf verstarb. Das erschütterte Sabine Höpner so sehr, dass sie plötzlich genau erkannte, was ihr zukünftiger Werdegang sein würde. 

Alles über Krebs erfahren, das wollte sie fortan. Hinter die Krankheit sehen. Wie und warum entsteht sie? Was kann man gegen sie tun? Was hätte der Grossmutter helfen können?

Sabine Höpner doktorierte 2009 in Immunologie. Danach arbeitete sie als PostDoc zunächst in einer Forschungsgruppe in Genf und später in Bern, beide Male im universitären Umfeld. Ihr Fachgebiet: die Tumorimmunologie, die sich mit der Wechselwirkung zwischen dem menschlichen Abwehrsystem und den Krebszellen befasst.

Im Umfeld der Stammzellen

Seit 2017 arbeitet sie nun als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Forschungsgruppe, dem «Labor für Tumorimmunologie». Dieses beschäftigt sich mit Leukämien, also Krebserkrankungen des blutbildenden Systems, bei denen wegen Fehlfunktionen unkontrolliert unvollständig entwickelte Zellen aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf entlassen werden. 

Besonders im Fokus stehen die Stammzellen. Das sind die «Mutterzellen» oder «Urzellen», aus denen alle anderen Blutzellen entstehen. Wenn ausgerechnet solche Urzellen bösartig verändert sind, spricht man von Leukämie-Stammzellen, die sich unkontrolliert vermehren können. Leukämie-Stammzellen leben und teilen sich im Knochenmark, gut geschützt vor äusserlichen Einflüssen. 

Sie sind resistent gegen Medikamente. Chemotherapien können sie nicht zerstören. Und oftmals verharren sie in Ruhe. Das menschliche Immunsystem hat Mühe, sie zu erkennen und unschädlich zu machen. «Daher wäre es viel effektiver, die Stammzellen direkt zu therapieren», sagt Sabine Höpner.

Das Labor für Tumorimmunologie sucht nun nach Möglichkeiten, die Krebsstammzellen direkt zu attackieren und das Abwehrsystem zu stimulieren, damit es aggressiver gegen das Wachstum von Krebsstammzellen vorgehen kann.

«Das ist mein LIGHT»

Sabine Höpner blickt zum Fenster. Die Scheibe ist übersät mit unzähligen kleinen Regentropfen, die sich zu feinen, verzweigten Bahnen vereinen und hinunterrieseln.

«Ich bin auf einem Molekül tätig», sagt Sabine Höpner lachend. Seit gut zehn Jahren sind ein kleines Eiweiss mit dem schönen Namen LIGHT und dessen «Partner» ihr Forschungsgegenstand, ihr Fachgebiet.

Um das Abwehrsystem zu aktivieren, können die Immunzellen stimuliert oder gehemmt werden. Ein Musik-DJ würde hier von Reglern am Mischpult sprechen. Wenn der Regler nach oben geht, wird es laut und heftig. Wird der Regler nach unten gezogen, kehrt Ruhe ein.

Bei Immunzellen sind es verschiedenste Immunmodulatoren, die die Immunreaktionen regulieren und die Immunzellen koordinieren. Sie bestehen aus Eiweisspaaren, sogenannten Liganden und Rezeptoren, die in einem Schlüssel-Schloss Prinzip miteinander reagieren, wenn sie zueinander passen. In der Familie, zu der Sabine Höpners Eisweisspaar gehört, kennt man zusätzlich ungefähr 18 weitere Liganden und 28 Rezeptoren.

Sabine Höpner forscht zum Paar LIGHT und LTβR, dem Lymphotoxin Beta Rezeptor. Die beiden Eiweisse geben Signale und können die Ruhe oder Selbsterneuerung von Stammzellen steuern. «Ich will mit meinen Experimenten zeigen, dass die Verabreichung von Antikörpern gegen das LIGHT-Protein das Tumorwachstum hemmen kann», sagt sie.

Nahe an der Klinik

Ihre Arbeiten umfassen Labor- und Tierexperimente. Da die Forschungsgruppe einer Universitätsklinik angegliedert ist, kann sie nicht nur mit Körpergewebe von Mäusen arbeiten. «Wir erhalten auch Bioproben von Patientinnen und Patienten, die einwilligen, ihr Blut oder ihr Knochenmark zur Verfügung zu stellen.» 

Das mache ihre Arbeit interessant, meint sie, «unsere Forschung rückt damit nahe an die Klinik.» Schliesslich sollen alle Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung dereinst dazu beitragen, dass Immuntherapien besser werden.

Das treibt sie an

«Was mich fasziniert, ist die Komplexität!», sagt sie, «das Zusammenspiel von Molekülen mit anderen Molekülen und Zellen ist unglaublich komplex ... wir arbeiten sehr lange an einer Erkenntnis … sobald wir diese dann endlich erreicht haben, finden wir wieder etwas Neues, Unbekanntes.»

Es ist, als würde sich hinter jedem Horizont, ein neuer, noch viel weiterer Horizont auftun. Und wie damals will Sabine Höpner dahinter sehen. «Das kann auch erschreckend sein, oder nicht?», sagt sie. Die Arbeit sei nie zu Ende; völlig erforschte Signalwege werde es in der Tumorimmunologie wohl nie geben.

Rückschläge

Dabei ist Forschungsarbeit kein Zuckerschlecken. Es gebe sie zwar, «die Phasen, wo es läuft», aber dazwischen müssten auch lange Durststrecken überwunden werden. «Und Rückschläge gibt es viele!», sagt sie, «man braucht eine enorme Energie, die einen vorantreibt. Gerade junge Studierende müssen dies lernen. Sonst werden sie von den Misserfolgen zurückgeworfen.»

Sabine Höpners Rat: die Energie aus dem Kleinen schöpfen. Vor zwei Tagen hat ihr die Labortechnikerin die ersten positiven Resultate einer Forschungsreihe über die Anwendbarkeit von LIGHT-Antikörpern gezeigt. Noch nichts Validiertes. Aber bereits ist klar: Das Experiment hat funktioniert! Einige Vorhersagen haben sich bestätigt! Sie sind auf dem richtigen Weg!

Sabine Höpner reisst wie eine Siegerin beide Arme hoch und strahlt.

Der Regen hat aufgehört.

(Text: Peter Rüegg)

University Cancer Center Inselspital (UCI)

Das UCI ist ein führendes Schweizer Zentrum für die Diagnose und Behandlung von Krebs. Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung finden hier ein breites Angebot von individuell zugeschnittenen Therapieansätzen. In zwölf Organzentren werden sie von hochspezialisierten Teams betreut. – www.tumorzentrum.insel.ch