6. September 2022

Wieso über die Endlichkeit sprechen?

In Gesprächen über das Sterben und den Tod fehlen uns häufig die Worte. Insbesondere Menschen am Lebensende und ihre Angehörigen können jedoch profitieren, wenn frühzeitig über diese Themen gesprochen wird. Kommunikationswissenschaftlerin Sibylle Felber erforscht Instrumente und entwickelt Projekte für Fachpersonen und Laien, damit diese Kommunikation gelingt.

Das Rezept klingt einfach: darüber sprechen … Darüber, dass das Leben ein Ende hat. Darüber, dass wir selbst und unsere Angehörigen sterben werden. Darüber, was nach dem Tod folgt.
Warum nur ist es so schwierig?
«Lass uns über die Endlichkeit des Lebens sprechen», sagt Sibylle Felber, «es lohnt sich, wenn man sich bereits als junge Person damit auseinandersetzt.»

Forschung in Palliative Care

Sibylle Felber, MSc, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kommunikationstrainerin am Universitären Zentrum für Palliative Care (UZP) am Inselspital in Bern. Palliative Care beschäftigt sich mit dem Erhalt von Lebensqualität, mit dem gemeinsamen Lindern eines Leidens. Und damit, wie Menschen ein würdevolles Ende erleben können.

Sie war sieben Jahre lang Zentrums- und Qualitätsmanagerin für das seit 2012 bestehende Palliativzentrum am Inselspital, das sie mit aufgebaut hat. Seit 2020 bringt sie im Rahmen von verschiedenen Projekten des Zentrums ihr Kommunikationswissen ein.

Am UZP werden – wie im universitären Umfeld üblich – Forschung und Lehre betrieben. Mit Sibylle Felber sind es insgesamt 13 Forscherinnen und Forscher. Zusätzlich zur Forschung gibt sie auch Kurse zur gesundheitlichen Vorausplanung für die Bevölkerung oder Kommunikationstrainings für Fachpersonen, dies zum Beispiel im Weiterbildungslehrgang CAS «interprofessionelle spezialisierte Palliative Care».

Anwendungsorientierte Forschung

Ihr Forschungsfeld bezieht die betroffenen Personen mit ein. Sibylle Felber befragt die späteren Anwenderinnen und Anwender. Je nachdem sind dies Patientinnen und Patienten, Angehörige, Pflegeexpertinnen und -experten oder Ärztinnen und Ärzte. Das ist eine enge Zusammenarbeit. «Ich erhalte Puzzleteile, die ich zu einem Ganzen zusammensetze», sagt sie. Danach sollen die Erkenntnisse aus den Projekten rasch in die Praxis übergehen.

Eines der Projekte hiess: «Über das Sterben sprechen». Daraus entstand ein Kommunikationsmodell, auf dem das Online-Lernmodul «Sterben» für Fachpersonen aufbaut. (siehe Link unten). Sibylle Felber mag diese Art der angewandten Forschungsarbeit: «Der grösste Erfolg eines Forschungsprojektes ist für mich, wenn etwas Anwendbares daraus resultiert.»

Mitgefühl üben

«Compassion Training», also «Mitgefühl üben», hiess ein anderes Projekt, das sie in einem interdisziplinären Team für Medizinstudierende mitentwickelte. Es ist als freiwilliges Wahlpraktikum an der Uni Bern bereits einmal durchgeführt worden. Unter anderem üben die Studierenden in Rollenspielen mit Schauspielpatient:innen, wie sie mitfühlend kommunizieren können.

«Als Kommunikationstrainerin gebe ich Feedback und ermuntere die Teilnehmenden, auch einmal etwas auszuprobieren», sagt sie. Wichtig ist ihr, die Trainings stets mit einer medizinischen Fachperson durchzuführen. So können sich Theorie und Praxis ergänzen.

«Der grösste Erfolg eines Forschungsprojektes ist für mich, wenn etwas Anwendbares daraus resultiert.»

Elefant im Raum

Schliesslich sind Gespräche über das Sterben, den Tod und die Trauer wichtig in der Behandlung und Betreuung von schwerkranken Patientinnen und Patienten. Nicht alle, aber viele Sterbende sind erleichtert, wenn sie mit Fachpersonen über den bevorstehenden Tod sprechen können. Denn je nachdem steht für die Sterbenden die eigentliche Krankheit nicht mehr im Vordergrund, sondern der unausgesprochene «Elefant im Raum». Da ist es nützlich, wenn die Fachpersonen bereits in der Ausbildung Fertigkeiten für solche Gespräche trainieren.

«Wir alle kennen eine Geschichte über den Tod»

Sibylle Felber setzt sich nicht nur für die Aus- und Fortbildung von Fachleuten ein. «Ich will das Wissen über Palliative Care auch in die Öffentlichkeit bringen. Ich wünsche mir, dass die Menschen das Lebensende wieder in ihr Leben integrieren und Gespräche über die menschliche Endlichkeit eine gewisse Normalität erfahren.»

Unter anderem hat sie gemeinsam mit dem Palliativmediziner Prof. Dr. Steffen Eychmüller ein Buch für jedermann und jede Frau mit Anregungen für den Umgang mit der Endlichkeit geschrieben. Sie sagt, das Sprechen über die Endlichkeit des Lebens habe etwas Verbindendes:

«Es betrifft uns alle. Wir alle kennen eine Geschichte über den Tod. Oft haben wir im persönlichen Umfeld erlebt, wie jemand gestorben ist. Oder wir werden durch die Medien mit den Themen konfrontiert. Es gibt viele Geschichten, die wir miteinander teilen können.»

Vorteile

Sie empfiehlt, frühzeitig – also bevor die Zeit des Sterbens kommt – mit Angehörigen, Bekannten, Freunden über ein mögliches Ende des Lebens zu sprechen. Weil man da noch die nötige Ruhe und Zeit hat und es nicht auf die sprichwörtlich letzte Sekunde aufschieben muss. Weil man danach nicht mehr ständig vermeiden muss, das Unaussprechliche auszusprechen.

Sie hat dies selbst ausprobiert mit ihr nahestehenden Familienangehörigen und Freundinnen – ganz die Wissenschaftlerin. «Natürlich! Ich wollte doch wissen, wie das wirkt, was ich vermittle.»
Das Resultat?
«Wenn ich über das Ende des Lebens sprach, wurden die Gespräche zwar ernst und emotional, aber dafür meist schnell ehrlich und direkt. Theater spielen hat im Angesicht der Endlichkeit nur wenig Platz. Für mich sind solche Gespräche sehr wertvoll und sie vertiefen oft die Beziehung.»

Über die Endlichkeit des Lebens zu sprechen, mag nicht leicht fallen. Aber oftmals bereichert es uns mehr, als wenn wir sie ignorieren.

Zur Person

«I ha de Füfer unds Weggli», sagt Sibylle Felber. Sie meint damit einerseits die Forschungsarbeit, andererseits den direkten Austausch, die vielen zwischenmenschlichen Kontakte, die ihr der Job bietet. Die Aussage trifft auch örtlich zu: Aufgewachsen in der Nähe von Bern, ist sie auch privat in der Stadt unterwegs und schätzt den «Aareschwumm». Leben tut sie jedoch mit ihrem Partner und zwei Töchtern (5 und 7) im luzernerischen Sursee.

(Text: Peter Rüegg)

Links

  • Buch: «Das Lebensende und ich» 
    Steffen Eychmüller, Sibylle Felber: Anregungen für einen leichteren Umgang mit der Endlichkeit. Stämpfli Verlag, Bern 2022. ISBN 978-3-7272-6096-4. www.staempfliverlag.com.
  • Netzwerk Lebensende Bern
    Informationen und Angebote rund um das Thema Lebensende und Palliative Care in der Stadt und Region Bern
  • iplan
    Gemeinsam erarbeiteter Plan für die Behandlung und Betreuung. Er berücksichtigt eigene Wünsche und Erwartungen und ist mit den wichtigsten Vertrauenspersonen besprochen ist.
  • Universitäres Zentrum für Palliativ Care (UZP) 
    Videos geben Antworten zu den Fragen: «Für wen ist Palliative Care?», «Was ist die Philosophie von Palliative Care?» und «Was ist Palliativ Care?»
  • Palliativakademie
    Bildungsangebote für Fachpersonen und die Bevölkerung.
  • DocCom.Deutsch
    Lernplattform für Kommunikation im Gesundheitswesen für Mitarbeitende der Insel Gruppe. Online-Lernmodul «Sterben»

University Cancer Center Inselspital (UCI)

UCI – Das Tumorzentrum Bern ist ein führendes Schweizer Zentrum für die Diagnose und Behandlung von Krebs. Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung finden am Tumorzentrum Bern ein breites Angebot von individuell zugeschnittenen Therapieansätzen. In zwölf Organzentren werden sie von hochspezialisierten Teams betreut. Das Palliativzentrum UZP ist als Querschnittsfach Teil des Tumorzentrums.www.tumorzentrum.insel.ch