12. Juni 2025

Das Unerwartete ist es, was die Wissenschaft ausmacht

Für die Krebsforscherin Georgia Konstantinidou steht die Krebsforschung an einem Wendepunkt. Es findet eine Verschiebung statt – weg von der Betrachtung von Tumoren als gleichförmige Einheiten.

UCI: Georgia Konstantinidou, was hat Sie zur Krebsforschung geführt?

Georgia Konstantinidou: Ich habe an der Universität Camerino in Italien Biologie studiert. Während meines Masterstudiums in Molekularer Biologie und Krebsbiologie, das ich 2005 aufnahm, sammelte ich erste Erfahrungen im Bereich Brustkrebs. Und sofort war da mehr als nur akademische Neugier. 

Ab dann wussten Sie, was Sie wollten? 

Ja, ich wollte Teil von etwas sein, das Leben verändern kann. Ich wollte dazu beitragen, bessere Behandlungsmethoden zu finden. Vor allem bei Krebsarten mit schlechter Prognose und wenigen Therapiemöglichkeiten, wie Lungen- und Pankreaskrebs. 

Was gefällt Ihnen an der Forschungsarbeit?

Dass ich translationale Forschung betreiben kann, also molekulare Erkenntnisse aus dem Labor direkt mit klinischen Anwendungen verknüpfen. Und dass ich intellektuelle Freiheit habe. 

Als Forschungsgruppenleiterin kann ich kühne Fragen stellen, die meine eigene Vision widerspiegeln. Diese Mischung aus Autonomie, Entdeckergeist und der greifbaren Aussicht auf eine Wirkung fasziniert mich. 

Auf welche Erfolge Ihres Teams oder Ihrer persönlichen Arbeit sind Sie besonders stolz?

Auf die Fortschritte, die wir bei der Entwicklung neuer Therapieansätze für Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs erzielt haben. Im Laufe der Jahre hat unsere Forschung zu bedeutenden Entdeckungen mit direkter klinischer Relevanz geführt. Zentrales Beispiel: die Identifikation der «Focal Adhesion Kinase» oder FAK. Sie dient als therapeutische Angriffsfläche bei einer bestimmten Untergruppe von Lungenkrebs. Das hat den Weg für klinische Studien mit FAK-Inhibitoren geebnet. 

Wie bei vielen zielgerichteten Therapien war die Entwicklung von Resistenzen eine grosse Herausforderung. Wir konnten einen zugrundeliegenden Resistenzmechanismus aufklären und eine neue Kombinationstherapie vorschlagen, um diesen zu überwinden. Das war ein wichtiger Schritt zu besseren Behandlungserfolgen für Patientinnen und Patienten.

Auf der Ebene der Lehre finde ich eine grosse Befriedigung, wenn ich sehe, wie sich meine Doktorandinnen und Doktoranden weiterentwickeln. Zu beobachten, wie sie sich in drei oder vier Jahren verändern, ist unglaublich bereichernd. Ihre frischen Ideen treiben die Forschung oft weiter voran, als ich mir vorstellen kann.

In der Krebsforschung wird es immer wichtiger, dass verschiedene Berufsgruppen an gemeinsamen Projekten arbeiten. Gilt das auch für Sie? 

Ja, interdisziplinäres Arbeiten ist zentral. Unsere Forschung stützt sich auf Krebsbiologie, Lipidomik, Bioinformatik, räumliche Transkriptomik und Pathologie, um nur einige Bereiche zu nennen. 

Wir arbeiten mit Computerwissenschaftlern, Klinikern und Bildgebungsspezialisten zusammen, um Daten und Perspektiven zu integrieren. Diesen Austausch fördere ich aktiv, zum Beispiel in gemeinsamen Projekten, Seminaren oder der gemeinsamen Betreuung von Studenten aus verschiedenen Disziplinen. Dieser interdisziplinäre Austausch ist der Ort, an dem echte Innovation stattfindet.

Wie gehen Sie mit Rückschlägen oder unerwarteten Ergebnissen in Experimenten um?

Rückschläge sind in der Krebsforschung die Regel, nicht die Ausnahme: Experimente scheitern. Hypothesen halten sich nicht. Aber genau das ist es, was die Wissenschaft ausmacht: das Unerwartete! 

Ich versuche meinem Team beizubringen, dass Scheitern keine Sackgasse ist, sondern ein Signal: ‹Etwas hat nicht funktioniert, und jetzt fragen wir, warum.› Damit beginnt die Erkenntnis. 

Jedes unerwartete Problem ist eine Gelegenheit zum Lernen. Die Fehlersuche gehört zum täglichen Rhythmus einfach dazu. 

Was raten Sie jungen Wissenschaftler:innen, die in der Krebsforschung Fuss fassen möchten?

Wenn du in die Krebsforschung einsteigst, solltest du dich auf lange Horizonte und grosse Ungewissheit einstellen. Doch du kannst eine unglaubliche Sinnhaftigkeit erwarten. 

Du musst Fragen wählen, die dir wichtig sind. Sei methodisch streng, aber auch mutig in deinen Hypothesen. Das Wichtigste ist: Such dir Mentoren, die dich herausfordern und unterstützen. Wissenschaft ist ein Teamsport. Das richtige Umfeld macht einen grossen Unterschied. 

Und schliesslich: Deine stärksten Werkzeuge sind Belastbarkeit und Neugierde.

Wo sehen Sie die Zukunft in der Krebsforschung? 

Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Die hochauflösende Sichtweise, wie wir sie heute mit räumlichen und Einzelzell-Technologien erreichen, verändert unser Verständnis von der Vielfalt von Tumorzellen und ihrer Resistenz gegenüber Medikamenten. 

Da sehe ich eine grosse Verschiebung. Tumoren werden nicht mehr als einheitliche Einheiten betrachtet. Man versucht heute, gezielt Mikroumgebungen innerhalb von Tumoren zu beeinflussen. Die Zukunft liegt in der Präzision auf der Ebene der Mikroumgebung.

University Comprehensive Cancer Center Inselspital (UCI)

Das UCI ist das international anerkannte Comprehensive Cancer Center in Bern. Engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen des Inselspitals und der Universität Bern arbeiten interdisziplinär in Forschung, Behandlung und Lehre zusammen, um Menschen mit Krebs zu helfen und die Lebensqualität von Menschen mit und nach Krebs zu verbessern. – www.uci.insel.ch