1. Oktober 2025

Ernährung als Medizin

Wie die Ernährungstherapie Patient:innen unterstützt.

Ernährung betrifft uns alle tagtäglich. Ernährungsberater:innen wie Anita Kaufmann haben sich vertieft mit diesem Thema im Rahmen eines Studiums auseinandergesetzt. Ursprünglich hat sie Köchin gelernt. Sie weiss daher nicht nur, was dem Gaumen schmeckt, sondern auch, was der Körper braucht.

Von Fakten zu Menschen 

Einer ihrer Beratungsschwerpunkte sind Tumorerkrankungen. Das Team aus Ernährungsberater:innen berät Personen, für die Essen zur Herausforderung wird. Krankheit, Therapie, Lebensabschnitt sowie körperliche Aktivität beeinflussen das Essverhalten und den Nährstoffbedarf. 

Die Ernährungsberatung ist Teil des interprofessionellen Teams der Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus. Der Auftrag zur Ernährungsberatung wird von den Ärzt:innen gestellt. «Wir erfahren zunächst meist nur kurze Informationen zur Krankheitsdiagnose», erklärt Anita Kaufmann. «Was die Patient:innen bewegt, wie ihr Alltag aussieht oder welche individuellen Bedürfnisse sie haben, erfahren wir erst im Gespräch. Genau das macht die Arbeit spannend.»

Bei jeder Person ist es anders

Die Patient:innen stehen an unterschiedlichen Punkten ihrer Krankheitsgeschichte und haben eigene Ziele. Sie werden während der Strahlen- und Chemotherapie oder während eines Spitalaufenthalts besucht. Um auch nach dem Spitalaufenthalt eine bestmögliche Ernährungstherapie zu gewährleisten, werden die Patient:innen bei Bedarf auch ambulant weiterbetreut.

Vielschichtiger Beruf

Zu Beginn jeder Beratung findet ein ausführliches Assessment statt. Anita Kaufmann und ihre Kolleg:innen machen eine Bedarfsanalyse, indem sie beobachten, aktiv zuhören und gezielte Fragen stellen. Damit erfassen sie die Ernährungssituation und leiten passende Massnahmen ab. «Ich habe einen spannenden Beruf» sagt Anita Kaufmann, «Empathie ist dabei genauso wichtig wie Fachwissen».

Mangelernährung

Mangelernährung ist ein grosses Risiko. «Ein fortgeschrittener Tumor ist eine konsumierende Krankheit», erklärt Anita Kaufmann. Das heisst, der Energie- und Nährstoffbedarf ist erhöht. 

Gleichzeitig können Appetitlosigkeit, Geschmacksveränderungen oder Verdauungsprobleme das Essen erschweren. In dieser Situation baut der Körper Muskelmasse als Reserve ab, wodurch das Gewicht abnimmt. Ein ungewollter Gewichtsverlust ist ein Warnsignal.

Mangelernährung kann Kraftlosigkeit, eingeschränkte Mobilität, ein erhöhtes Komplikationsrisiko und eine reduzierte Lebensqualität nach sich ziehen. Auch die Erholung verlangsamt sich. Die Nebenwirkungen der Chemotherapie nehmen zu, und die Therapien lassen sich möglicherweise nicht wie geplant durchführen. 

Ziele setzen

Die Ursachen für Mangelernährung sind vielfältig: reduzierter Appetit, Schluckbeschwerden, Übelkeit, Verdauungsprobleme oder psychische Belastung.

Essen ist zudem etwas sehr Persönliches. Vorschläge für Veränderungen können deshalb Widerstand auslösen. Hier gilt es, die Beweggründe der Patient:innen ernst zu nehmen und gemeinsam realistische Schritte zu planen. «Oft reicht es schon, kleine Erfolge sichtbar zu machen und wertzuschätzen», so Anita Kaufmann.

Zwischen Wissenschaft und Alltag

Nebenwirkungen, Emotionen und widersprüchliche Ratschläge aus dem Internet können verständlicherweise zu Verunsicherung führen. Zu Ernährungsthemen gibt es neben den zahlreichen nützlichen Informationen auch viele undifferenzierte oder widersprüchliche Empfehlungen im Netz. Diese können zu einer einseitigen und möglicherweise schädlichen Ernährungsweise führen. 

Anita Kaufmann sieht es als ihre Aufgabe, Patient:innen Orientierung zu geben: «Wir vermitteln realistische Ziele, die auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen und übersetzen dies in den Alltag der Patient:innen.» 

Interventionen

Es gibt viele Interventionen zur Verhinderung oder Verbesserung einer Mangelernährung. In der Ernährungsberatung spricht Anita Kaufmann mit Patient:innen unter anderem über eine energie- und eiweissreiche Kost. Oder über die Verteilung der Mahlzeiten. 

Schon kleine Interventionen können viel bewirken – etwa ein Snack alle zwei Stunden. Auch Trinknahrungen können helfen. Dies sind hochkalorische Getränke mit viel Eiweiss, Vitaminen und Mineralstoffen. 

Reicht die Nahrungsaufnahme über eine längere Zeit nicht mehr aus, wird im Behandlungsteam gemeinsam mit den Patient:innen eine künstliche Ernährung in Betracht gezogen. Dies kann beispielsweise über eine Ernährungssonde erfolgen, die ärztlich verordnet wird. 

Menschen begleiten

Anita Kaufmann schätzt besonders die enge und oft langfristige Begleitung. «Es ist bereichernd, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten und bei entscheidenden Zeitpunkten unterstützen zu können», sagt sie.

Sie erzählt etwa von einem Patienten mit einem Tumor im Halsbereich, den sie über ein Jahr lang betreut hat – von der Diagnosestellung über die Einlage einer Ernährungssonde bis hin zur vollständigen Erholung aller Symptome.

University Comprehensive Cancer Center Inselspital (UCI)

Das UCI ist das international anerkannte Comprehensive Cancer Center in Bern. Engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen des Inselspitals und der Universität Bern arbeiten interdisziplinär in Forschung, Behandlung und Lehre zusammen, um Menschen mit Krebs zu helfen und die Lebensqualität von Menschen mit und nach Krebs zu verbessern. – www.uci.insel.ch