12. Dezember 2024
Heute auf Medikamenten-Mission
Ragip Ruhanis Team sorgt dafür, dass alles, was innerhalb der Insel verteilt wird, am richtigen Ort ankommt. Danach muss alles den genau festgelegten Entsorgungsweg nehmen. Er zeigt es anhand eines Auftrags gleich selbst.
Treffpunkt vor dem Lager der Spitalapotheke. Neonröhrenatmosphäre, tief unter dem Bettenhochhaus. Neben dem Eingang stehen zwanzig mannshohe, vergitterte «Caddys», Rollbehälter für den Medikamententransport. Kurzer, kräftiger Handshake mit Ragip Ruhani, 49 Jahre alt, Familienvater aus Ittingen, Gruppenleiter. Er blickt auf die Uhr: «Los geht’s! »
Zytostatika-Kisten
Im Lager liegen zwei plombierte Behälter. «Zytostatika-Kisten» mit rotem Deckel. Das Laufblatt zeigt die Lieferadressen. Ragip Ruhani stapelt sie sorgfältig aufeinander und hebt sie auf. Auf dem Weg zum Lift trifft er zwei seiner Mitarbeiter. Auf ihre fragenden Blicke antwortet er: «Alles in Ordnung, keine Sorge. Heute übernehme ich – ausnahmsweise».
Ragip Ruhani leitet zusammen mit Gaspare Fabrizio Virga ein Team von 30 Mitarbeitenden. «Ver- und Entsorgungstransporte» nennt es sich, V+E.
Der Auftrag: Alles, was innerhalb der Insel Gruppe verteilt wird, muss am richtigen Ort ankommen. Nach Gebrauch müssen alle Waren den genau vorgeschriebenen Weg der Entsorgung nehmen.
Ursprünglich gelernter Fahrzeug-Elektriker, vertrieb ihn der Jugoslawienkrieg aus seinem Land in die Schweiz, und er begann im Mai 1996 bei der Insel zu arbeiten. In jenem Job, den heute seine Teammitglieder ausüben – 25 Jahre lang.
Wertvolles Gut
Die Lifttüren öffnen sich, Ragip Ruhani steigt ein. Was die «Zytostatika-Kisten» enthalten? «Wir wissen nicht genau, was wir in unseren Gebinden transportieren. Wir blicken ja nicht hinein», sagt er. Aber natürlich kann er anhand des Laufblatts ableiten, dass es sich um ein Zytostatikum* handelt. Also um sehr wertvolles Gut, das zeitkritisch abzuliefern ist. Am Zielort wird damit eine Patientin oder ein Patient behandelt werden.
Ragip Ruhani und sein Co-Leiter sind für 24 Dienste des Teams V+E verantwortlich. So nennen sie Dienstleistungen wie zum Beispiel Wäsche-, Kehricht-, Restaurant-, Apotheken- oder Essensdienste, die über sieben Tage und in verschiedenen Gebäuden oder Kliniken verteilt sind. Die beiden Co-Leiter planen und koordinieren alles.
Keine Pendenzen
Die Einsatzpläne erstellen die Teamchefs mit anderthalb Monaten Vorlauf. In der Planung müssen auch spontan eintreffende Aufträge abgedeckt werden können. Wenn etwa plötzlich eine Extralieferung nötig ist. Oder wenn ein Kartonschredder angeliefert wird.
Manche der Dienste sind streng reglementiert. «Unsere Arbeit ist stark getaktet, die Aufträge sind klar strukturiert», sagt Ragip Ruhani, «dabei muss jeder Dienst bei Feierabend erledigt sein. Pendenzen? Gibt’s bei uns nicht.»
Zum Beispiel der Essensdienst: 60 bis 65 Essenswagen pro Tag werden zu den Stationen gefahren. Nach einer Stunde werden sie wieder abgeholt und zur Abwaschküche zurückgefahren. Pünktlich.
Sharps
Oder der Umgang mit Sonderabfällen, streng geregelte Prozesse, denen das V+E-Team folgt. Beschrieben sind sie im fast 100 Seiten starken Entsorgungskonzept der Insel Gruppe. Dabei geht es nicht nur um Glas-Alu-Papiertrennung wie im Privathaushalt.
Allein auf den ersten fünf Seiten werden die verschiedenen Abfallarten klassifiziert, von A wie «Abfälle mit Kontaminationsgefahr (Blut, Sekrete, und Exkrete) », über R wie «Radioaktive Abfälle» bis Z wie «Zytostatika-Abfälle».
Sonderabfälle landen in farblich markierten Einweg-Behältern, die das V+E-Team zur Verfügung stellt und einsammelt. Violette Boxen zum Beispiel sind für Körperteile, Organe, Gewebe, Plazenten aus Operationen. Sie gelangen zur Pathologie. Oder die gelben «Sharps», in denen Spitziges und Scharfes entsorgt wird, also Nadeln, Kanülen, Pipetten oder Skalpell klingen.
Heiliger Dienst
Auf der Etage Q steigt Ragip Ruhani aus dem Lift. «Chemotherapie-Medikamente von der Apotheke auf die Station zu bringen, nenne ich einen ‹heiligen Dienst›. Neuen Mitarbeitenden schärfe ich immer ein: Seid hier besonders verantwortungsvoll! Solche Medikamente können Leben retten. »
Erneut trifft er zwei Insel-Mitarbeitende, wieder begrüssen sie sich mit Vornamen. «Ich arbeite seit bald 30 Jahren an der Insel, ich kenne hier fast jede und jeden! », sagt er lachend. Die vielen Kontakte seien das, was ihm Spass mache. Auch in den Gebäuden kenne er jeden Winkel, «besser als zu Hause! »
Ragip Ruhani war 25 Jahre ein Teil von V+E. Dann kam die schrittweise Beförderung. Erst fünf Jahre stellvertretender Gruppenleiter, dann ab Januar 2024 Gruppenleiter. Vor dem Rollenwechsel hatte er Respekt. Würden ihn die Kollegen als Chef akzeptieren?
Im Notfall
Ist ihm eine Zytostatika Kiste schon einmal aus der Hand gefallen? Ragip Ruhani verweist auf ein Notfallszenario. «In einem Fall solchen würden wir den ‹Unfallort› mit einem Sicherheitsabstand absperren und sofort die Fachleute aus der Spitalapotheke alarmieren. Diese würden begutachten, ob der Inhalt der Kiste beschädigt ist und ob verschüttete Medikamente aufgenommen und entsorgt werden müssen. Aber das ist mir noch nie passiert. »
Auf der Onkologie Station ruft Ragip Ruhani «Die Zytostatika-Kiste ist da! ».
Eine Fachfrau und eine Patientin haben auf die minutengenaue Lieferung gewartet. Die Zytostatika-Kiste wechselt die Hand. Ragip Ruhani quittiert auf dem Smartphone ‹Auftrag ausgeführt›. Der Logistikleitstand kann jetzt einen neuen Auftrag zuteilen. Weiter geht’s, zur nächsten Onkologie Station!
(Text: Peter Rüegg)
University Comprehensive Cancer Center Inselspital (UCI)
Das UCI ist das international anerkannte Comprehensive Cancer Center in Bern. Engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen des Inselspitals und der Universität Bern arbeiten interdisziplinär in Forschung, Behandlung und Lehre zusammen, um Menschen mit Krebs zu helfen und die Lebensqualität von Menschen mit und nach Krebs zu verbessern. – www.uci.insel.ch