31.3.2021
Beratung für die Zeit danach
Sie haben den Krebs überstanden: Kinder und Jugendliche, die zur jährlichen Nachkontrolle ans Inselspital eingeladen werden. Helene Affolter arbeitet für die «Sprechstunde Cancer Survivor». Warum sie von den jungen Menschen beeindruckt ist, erzählt sie im Gespräch.
Die Heilungschancen von Krebs bei Kindern stehen bei 80 Prozent gut; vier von fünf Kindern können geheilt werden. Viele Betroffene leiden jedoch noch an Folgen der Behandlung oder der Tumorerkrankung, auch längere Zeit nachdem die Behandlung abgeschlossen ist. Spätfolgen äussern sich oft diffus und werden nicht sofort erkannt.
Cancer Survivors sind in der Fachsprache Krebsüberlebende. Um Spätfolgen rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln, benötigen die Survivors eine gute Nachsorge. Diese sollte bereits beginnen, wenn die eigentliche Behandlung abgeschlossen ist, und sie sollte weitergeführt werden, wenn die Jugendlichen ins Erwachsenenleben hinüberwechseln. Hier kommt die Sprechstunde Cancer Survivors ins Spiel.
Kontakt per Telefon
Die diplomierte Pflegefachfrau Helene Affolter arbeitet mit drei Medizinerinnen und einer medizinischen Praxisassistentin für die Sprechstunde für Cancer Survivors am Inselspital (siehe Kasten). Sie lädt telefonisch ehemalige Patientinnen und Patienten für Nachsorge-Untersuchungen ein.
«Per Telefon ist mir am liebsten. Im persönlichen Gespräch habe ich eins-zu-eins ihre Reaktion und kann einschätzen, wie sie den Kontakt wahrnehmen. Für einige von ihnen ist es womöglich Jahre her, seit sie zum letzten Mal mit der Krebstherapie zu tun hatten. Mir ist wichtig, dass sie die Informationen zum Aufgebot und zur Sprechstunde verstehen und wissen, worum es geht.»
Vorgeschichte zusammenstellen
In der Sprechstunde untersucht das Cancer Survivor-Team nach neuestem Stand des Wissens, ob Folgeprobleme vorliegen und wie die Behandlung oder Vorbeugung am besten erfolgen soll. Bevor die jungen Menschen zur Sprechstunde ins Spital kommen, füllen sie einen Fragebogen aus, wie es ihnen gesundheitlich geht. Gleichzeitig organisiert das Team die Krankengeschichte, also alles, was die frühere Krebserkrankung dokumentiert. Fehlen wichtige Dokumente, versucht das Cancer Survivor-Team, diese durch Recherchen zu besorgen.
Helene Affolter erfasst im vorgängigen Telefongespräch die Situation der ehemaligen Patientinnen und Patienten. Diese ersten Informationen zum Befinden und zur Lebenssituation dienen ihr zur Planung der Untersuchungen. Hat eine Person zum Beispiel berufliche Schwierigkeiten, organisiert Helene Affolter einen Termin bei der Sozialarbeiterin. Steht bei einer anderen Person die Müdigkeit im Vordergrund, muss deren Ursache mittels Laboranalysen geklärt werden.
Ein ganzer Tag für Untersuchungen
Helene Affolter versucht, alle Nachsorge-Untersuchungen auf denselben Tag zu legen, damit ein junger Mensch nur einmal ins Spital kommen muss. Oft begleitet ihn ein Elternteil, häufig die Mutter. In der Regel dauert ein solcher Tag von 8 bis 16 Uhr, mit einer Mittagspause.
Die meisten Resultate der Untersuchungen liegen am selben Tag vor. Am Nachmittag besprechen die Fachärzte mit den Betroffenen und den Eltern die Situation und geben ihnen Empfehlungen für die Nachsorge ab. Den ausführlichen Bericht schicken sie später mit der Post. Dazu gehört ein schriftlicher Nachsorgeplan, der «Passport for Care» (siehe Kasten unten), auf dem die Empfehlungen für die Nachsorge online abgelegt sind.
Junges Angebot
Das Angebot für Cancer Survivors ist noch jung. Die Sprechstunde am Inselspital wurde erst 2018 aus der Taufe gehoben. Helene Affolter half beim Aufbau mit. «Ich bin stolz, im Cancer-Survivor-Team dabei zu sein», sagt sie. Die Sprechstunde biete den jungen Menschen Kontinuität und Sicherheit, sie hätten hier weiterhin eine Kontaktperson, wenn es um ihre frühere Erkrankung gehe.
«Mich beeindruckt, wie die Cancer Survivors mit ihren manchmal schwierigen Situationen zurechtkommen. Ich erlebe sie als reifer im Charakter, als ich aufgrund ihres Alters annehmen würde. Sie wirken sehr erfahren.»
Das Sprechstunden-Team
Das Kernteam der Sprechstunde besteht aus der Allgemeininternistin und Leiterin Prof. Dr. med. Maria Wertli, der pädiatrischen Hämatoonkologin Dr. med. Eva Maria Tinner, der medizinischen Praxisassistentin Dajanira de Giovanni und der diplomierten Pflegefachfrau Helene Affolter.
Pro Monat kann das Team im Moment acht ehemalige Patientinnen und Patienten betreuen, vier davon sind neu, vier sind wiederkehrend, und alle kommen aus verschiedenen Kantonen der Deutschschweiz.
Zur Person
«Mir liegt das Lebendige, das Improvisieren und das rasche Umsetzen», sagt Helene Affolter über sich. Die diplomierte Pflegefachfrau wohnt in Bern und ist Mutter eines bald einjährigen Kindes. Sie ist gerne in der Natur, spielt Volleyball und hat kürzlich das Snowboard-Tourenfahren neu entdeckt. Daneben interessiert sie sich besonders für die Körpertherapie Shiatsu.
(Text: Peter Rüegg)
Der Passport for Care ist ein elektronisches Dossier mit den Empfehlungen für Menschen mit Krebs in der Kindheit oder im Jugendalter. Das Dossier enthält eine Zusammenfassung der Krebstherapie und Empfehlungen für eine Nachsorge. Es ist mit Hilfe eines Codes online zugänglich. Diesen Code kann die betroffene Person ihren behandelnden Fachpersonen oder Angehörigen zur Verfügung stellen.
Sprechstunde Cancer Survivor
Die Sprechstunde Cancer Survivor ist eine Fachberatung, die auf detaillierten Abklärungen beruht. Die Beratung spricht körperliche, aber auch soziale und psychische Folgen an. Sie wird auf der Medizinischen Poliklinik der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin des Inselspitals Bern durchgeführt. Die Fachteam der Allgemeinen Inneren Medizin arbeitet interdisziplinär mit Fachärzten der pädiatrischen Hämatoonkologie und anderen Spezialärzten sowie Fachpersonen zusammen.
Cancer-Survivor-Sprechstunde
UCI – Das Tumorzentrum Bern ist ein führendes universitäres Zentrum für Diagnostik und Therapie von Tumorerkrankungen. Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung finden ein umfassendes Angebot an individuell angepassten Behandlungsmöglichkeiten. Hoch spezialisierte Expertenteams beraten und behandeln in jeder Krankheitsphase nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Standards.